Surreales 1899

Wie „Dark“ nur darker

Nach Dark ist es natürlich unumgänglich, sich auch 1899 anzusehen. Wen man sich durch die verwirrenden Irritationen und die erschreckend stimmige Aufklärung von Dark gewühlt hat, kann man sich eigentlich nur auf jede Art von Fortsetzung freuen. Und dieses Gefühl hat man dann auch bei 1899: dass es sich um eine Fortsetzung mit anderen Mitteln handelt.

Das ist erst mal nicht als Kritik gedacht. Das berüchtigte „zweite Album“ soll auch zu allererst beweisen, dass man es nochmal kann. Und somit ist die Idee, von einem ähnlich verworren-skurrilen Plot, aber in einem anderen Setting, ja durchaus hitverdächtig.

Statt des tatortartigen deutschen Kleinstadtmiefs, geht es jetzt auf große Fahrt. Und das bringt ja einige gut gewählte Assoziationen mit: Flucht, Ausweglosigkeit, Untergang. Die Jahrhundertwende, Hochzeit der industriellen Revolution, als Setting hat einen ähnlichen Geruch von Größenwahn wie das AKW von Winden. Das Bühnenbild ist teurer, die Besetzung internationaler, alles cineastischer.

Das sind vielleicht etwas berechenbare „nächste Schritte“ aber sowas nennt man ja auch Fan-Service. Das muss sich ja nicht auf negativ auf die Qualität der Serie auswirken. Und tatsächlich hatte ich nie das Gefühl, dass sich das Team um Jantje Friese und Baran bo Odar übernommen hätte. Sehr gekonnt und kontrolliert eskalieren sie die Ereignisse. Wie auch bei Dark sparsam mit Informationen, dafür voll mit verstörenden Andeutungen, unan­genehmen Figuren und überraschenden kleinen Wendungen. Nach bester Dark-Manier wird hier surreal aufgetischt. Und eine Master-Idee, eine logische Klammer um die zunehmend schwindende Erklärbar­keit der Handlung, wird schon am Ende der Staffel eingeführt.

Leider Schluss, aber ich verstehe es

Alles richtig gemacht, würde ich sagen. Ich hätte mich sehr auf eine zweite und dritte Staffel gefreut. Ich bin sicher, dass die Autoren die gute Kopie ihrer eigenen Ideen sehr bald verlassen und grandios weiter­gesponnen hätten. Aber daraus wird ja nun nichts.

Und leider kann ich diese Entscheidung sogar nachvollziehen. So sehr ich mich als Fan über die Fort­setzung des Konzepts von Dark gefreut habe, so sehr sehe ich auch, dass Dark irgendwie eine Voraus­setzung für 1899 ist. Aber der Shift in das 19. Jahrhundert bedient eher Freunde von „Ripper Street“, „Taboo“ oder „The Alienist“. Und ob Liebhaber des spröden Winden aus Dark eben auch diese leicht fantastische Note zu schätzen wissen, würde ich in Frage stellen.

Ich vermute also, dass es zu wenige Dark-Fans gibt, die 1899 mögen und zu wenige 19.-Jahrhundert-Fans, die mit der heraus­fordernden Erzählweise von 1899 klar kommen.

Allerdings gehe ich auch davon aus, dass 1899 zu einem erfolgreichen Klassiker geworden wäre, wenn man zwei weitere Staffeln erlaubt und ein bisschen langen Atem bewiesen hätte.