Formular-Schmerz zum anfassen

Das Horror-Formular

Online-Formulare sind ein Meisterwerk des Designs. Kein anderes Website-Element komprimiert das Bedürfnis nach Komplexität und Einfachheit so perfekt. Und kein anderes Element zeigt den Kampf zwischen Sales und Design auf so engem Raum.

Als Marketing­abteilung muss man ein Verständnis für die Schwierigkeiten und Hindernisse entwickeln, die unbedacht in Formulare eingebaut werden. Sehr oft stehen die Interessen des Vertriebs über Best-Practice-Design­lösungen. Vielleicht auch, weil da ein bisschen die Empathie fehlt. Was dagegen helfen könnte, wäre das Erlebnis ein wirklich schlecht gestaltetes Formular bedienen zu müssen – gewisser­maßen als Selbst­versuch.

Aber fast alle Formulare da draußen sind zumindest in Ordnung. Niemand würde freiwillig ein schlecht gestaltetes Formular im Internet veröffentlichen, oder etwa doch? Klar, die Leute von Verhaert schon. Sie haben ein Interface from Hell gebaut. Sie machen alles falsch, und zwar absichtlich. Und es ist großartig. Jeder einzelne Schritt ist eine mühsame Suche nach dem richtigen Element zum Anklicken oder der hilfreichen Anweisung oder nach bekannten UI-Patterns. Natürlich ist das ganze ein ironisches Experiment zur Gestaltung von Benutzeroberflächen, und natürlich ist das total übertrieben und nicht ernst gemeint. Aber als Benutzer:in muss man schon zugeben, dass einem das eine oder andere problem sehr bekannt vorkommt.

So, am besten erst mal selber ausprobieren. Ich warte solange hier und wir sehen uns gleich.

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Selbst ausprobieren – auf userinyerface.com

Lustig? Ja und nein.

Und wie fühlt sich diese Worst Case Scenario an? Zunächst fremdartig unangenehm. Es fühlt sich an, als ob man etwas falsch machen würde. Dann fängt es an, lustig zu werden, und man lacht darüber, wie man Dinge verpfuschen kann, wie jede Designentscheidung falsch sein kann. Vielleicht entwickelt man sogar den Ehrgeiz, diese Form zu meistern, vielleicht wird deine Lust am Spiel angeregt. Und ständig verspürt man den Drang, dieses Chaos einfach aufzugeben. Der einzige Grund, warum man bleibst, ist, dass es einem egal ist, ob es ein Ende gibt. Es ist ja schließlich ein Spiel.

Aber es gibt andere Formulare da draußen, die dir nicht egal sind. Und sie machen die gleichen Fehler. Wenn ein Benutzer ein Formular ausfüllt, fühlt er sich normalerweise schon gestresst. Der Benutzer hat eine Entscheidung getroffen, die an sich schon eine Überwindung war, und der Endpunkt dieser Entscheidung ist in den meisten Fällen ein Formular. Egal, ob es darum geht, etwas zu kaufen, sich ein Angebot schicken zu lassen, einen Dienst zu abonnieren oder was auch immer – am Ende steht immer das Ausfüllen eines Formulars. Und es besteht immer die Gefahr etwas falsch zu machen. Man wählt den falschen Tarif, verwechselt seine Anmeldedaten oder gibt seine Kreditkarteninformationen falsch ein. Das Formular sollte das geringste meiner Probleme sein. Ist es aber nicht.

Die Chance

Das gute an schlechten Formularen: Sie sind nicht allein. Und das ist der einzige Grund, warum es sie noch gibt. Egal, wie nachlässig ein Formular gestalten ist, wie gierig die Analysten auf Käufer­daten sind, wie gnadenlos dem Kunden die Arbeit des Verkäufers aufgehalst wird, es wird immer einen Konkurrenten mit einem noch schlechteren Design geben. Benutzer:innen sind schon sehr leidens­fähig was Bestell­prozesse oder Formalitäten angeht. Was ich damit sagen will: Wir alle haben uns an schlechte Bestell­prozesse gewöhnt. Unsere Erwartungs­haltung ist im Keller.

Und da müssen wir raus. Wir haben die Chance, hier einen echten Wettbewerbs­vorteil heraus­zuarbeiten: Ein tatsächlich benutzer:innen­freundliches Formular. Man stelle sich einen Anmelde- oder Verkaufsprozess vor, bei dem man sich behütet fühlt. Wo man nicht ständig die eigenen Angaben prüft, weil man Angst hat, einen Fehler zu übersehen. Wo man durch den Prozess geführt wird, wo nur nach wichtigen Informationen gefragt wird, wo man weiß, was einen als nächstes erwartet. Und die ganze Zeit über hat man ein Gefühl von Transparenz und Kontrolle.

Das ist alles nichts Neues, ich weiß.

Also, bitte, arbeitet an euren Formularen

Als Inhaber von Websites und als Entscheidungs­träger:innen neigen wir dazu, die Komplexität von Formularen zu unterschätzen. Wir denken, dass es völlig in Ordnung ist, die Benutzer:innen zu zwingen, eine korrekt formatierte Telefonnummer oder ein sehr sicheres Passwort einzugeben, oder einige Informationen über sich selbst oder über deren Unternehmen, oder über den Grund, warum er oder sie zu uns kommt, oder wie er uns gefunden hat. Aber das ist es ist nicht – in Ordnung.

Als Vertriebler:in müssen Sie sich darüber im Klaren sein, dass das Formular die letzte Hürde vor einem Abschluss ist. Man neigt zu der Vorstellung, man habe potentielle Kund:innen mit guten Argumenten davon überzeugt, dass sie mit uns ins Geschäft kommen sollten. Und jetzt wäre man ja bereits im Verkaufsprozess, die Entscheidungsfindung sei abgeschlossen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Genau jetzt gilt es besonders nett zu sein, denn hier geginnt nicht die Geschäftsbeziehung sondern das Erfüllen der Erwartungen, die wir zuvor, über die ganze Customer Journey, aufgebaut haben. Wir dürfen nicht voreilig sein. Wir sollen nicht glauben, dass wir jetzt, wo die Nutzer:innen den Willen bekundet haben, unser Formular aus­zufüllen, das letzte bisschen Information aus ihnen heraus­saugen können. Sie sind noch keine Kunden.

Prioritäten setzen

Ich erinnere mich an einige Projekte, bei denen das Anmelde­formular das erklärte Ziel der gesamten Website war. Aber der Erfolg wurde nur bis zur Seite des Formulars gemessen. Das Formular selbst war nicht Teil des Optimierungs­prozesses, da es vollständig unter der Leitung der Vertriebsabteilung stand. Sie durfte entscheiden, welche Felder das Formular enthalten sollte, welche Felder obligatorisch sind und durch wie viele Schritte der Benutzer geführt werden sollte. Und da das Ziel des Vertriebs war, in einen möglichst komfortablen und erfolgreichen Verkaufsprozess zu gleiten, hatten sie viele Anforderungen.

Der Nutzer musste eine unangenehme Stimmungs­schwankung in seiner Customer Journey durchlaufen. Er stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, bis er vielleicht zum Kunden wurde. Und kurz vor der Anmeldung (oder dem Kaufabschluss) verwandelte er sich in einen sicheren Kunden, der Papier­kram und Büro­kratie ertragen musste.

Also was nun?

Als Nutzer selbst kann ich nur an alle appellieren, die für Webformulare verantwortlich sind, großzügig mit Zeit und Geld umzugehen, das für die Nutzer­freundlichkeit aufgewendet wird.

Beginne früh mit der Planung des Kaufabschlusses. Mache klare Ansagen über Prioritäten und hole alle Verantwortlichen ins Boot. Kläre, wie der Workflow nach dem Online-Abschluss so verbessert werden kann, dass du es dem Kunden leichter machst. Denke über alternative Abschlüsse nach. Was du nicht willst ist ein Kampf zwischen UX und Sales.

Und wenn du neue Kunden gewinnen willst, und zwar viele, dann enttäusche sie nicht, wenn sie gerade dabei waren, dir zu vertrauen.