Schluss mit gendern, liebe Lesys
An kaum einem anderen Thema prallen die Köpfe durchaus vernünftiger Menschen derart aufeinander, wie bei der Frage nach geschlechtsneutraler Sprache. Ich sag’s jetzt einfach: dem Gendern.
Und ich gebe zu, dass man schon viel Spaß an Veränderung haben muss, um die neuen Ideen für den Umgang mit Sprache, Text und Typografie willkommen zu heißen. Und genau darüber könnte man mal reden: Über Spaß und Veränderung.
Kurzer Umweg und Disclaimer: Ich mag Veränderung. Ich bin sicher kein Freund von chaotischen Zuständen oder disruptiven Ereignissen. Aber von Entwicklung, von Bewegungsfreiheit und der Chance, Dinge zum Guten zu verbessern. Und noch lieber als eine „Chance“ der Verbesserung, ist mir eine Gelegenheit und noch lieber ein System. Da es sich bei geschlechtsneutraler Sprache genau um diese Aspekte handelt, ist es nicht verwunderlich, dass ich ein Fan bin.
First things first: Spaß
Zum Teil wird die Diskussion um die beste Form geschlechtsneutraler Sprache sehr akademisch geführt. Ob ein Asterisk inklusiver sei als ein Kolon, durch welches typografische Störzeichen der Lesefluss mehr oder weniger gebremst würde und ob ein Glottisschlag eine neue Erfindung sei oder nicht. Das sind alles valide Streitpunkte von angemessener Ernsthaftigkeit. Es gibt aber auch kreative Ideen, die keine Angst davor haben, radikalere Anpassungen des Sprachgebrauchs vorzuschlagen. Und da fängt der Spaß an.
Entgendern nach Hermes Phettberg
Zum Beispiel mit entgendern nach Phettberg. Das Konzept ist sehr einfach. Will man eine Person geschlechtsunspezifisch ausdrücken, verwendet man nicht den Stamm des Wortes plus „er“ oder „erin“ sondern „y“ und wählt auch einen sächlichen Artikel. Also nicht der Gärtner oder die Gärtnerin sonder das Gärtny.
Im Plural wird einfach ein „s“ angehängt. Also Gärtnys statt Gärtner:innen, Arztys statt Ärzt:innen (oder Ärzte, wenn man an das generische Makulinum glaubt) und Designys statt Designer:innen.
Das funktioniert nicht nur ausgesprochen gut, es gibt dem Gesagten auch einen besonderen Klang von lockerer Freundlichkeit. Die Leserschaft anzusprechen mit „liebe Lesys“ hinterlässt schon einen anderen Eindruck als „liebe Leser:innen“ oder „liebe Leserinnen und Leser“. Muss man mögen – aber Spaß macht es schon.
Und gaaaanz langsam: Veränderung
Ich bin gespannt, wann ich in einer E-Mail zum ersten mal von „Nutzys“ spreche, falls überhaupt. Die meisten meiner Kundys würden nicht verstehen, was ich meine und sie alle würden denken, dass ich sie auf den Arm nehme. Und das ist absolut verständlich, weil Sprache eine Vereinbarung ist und nicht nur ein Regelwerk. Neben dem, was uns „regeltechnisch“ erlaubt ist und dem, wie wir uns geeinigt haben, Sprache zu verwenden, bestehen ziemliche Unterschiede. Ich darf eine E-Mail einleiten mit „Gott zum Gruße, edler Herr“, aber ich darf mich nicht wundern, wenn ich keine Antwort bekomme. Wir hatten uns auf bestimmte Floskeln geeinigt, und die zu verwenden gehört einfach zum guten Ton.
Außerdem hat Sprache seit immer den Effekt, In- und Out-Groups zu definieren. Bei Wortkreationen von Subkulturen ist das offensichtlich. Kenne das Wording und du gehörst dazu. Und das Wording verändert sich so schnell, dass man schon am Ball bleiben muss um weiter In-Group zu sein. Durch Sprachgebrauch zur Out-Group erklärt zu werden, erfahren wir ständig und alle Eltern früher der später. Daher ist es absolut nachvollziehbar, dass auch bei geschlechtsneutraler Sprache die Alarmglocken klingeln.
Lasst mich mal
Es gibt einen großen Unterschied zwischen den sprachlichen Veränderungen, die jetzt von Befürwortys geschlechtsneutraler Sprache eingeführt werden, und den Veränderungen, wie etwa Subkulturen oder Fachterminologie sie mitbringen: Geschlechtsneutrale Sprache will niemanden ausschließen.
Im Gegenteil, versucht gendergerechte Sprache alle miteinzubeziehen. Aber, weil sich das nicht so anfühlt, bitte ich jene, die keine Freundys sind: Lasst mich doch mal was ausprobieren. Das verpflichtet euch zu nichts.
Wenn es mir Spaß macht, mich jedes Wochenende an Cocktails zu betrinken, heißt das ja nicht, dass ihr das auch machen müsst. Nur ertragen, dass ich im Büro von den besten Drinks des Wochenendes schwärme, das müsst ihr schon. Und vielleicht ist das ja auch nur ein Spleen und bald merke ich, dass ein nüchternes Wochenende ab und zu ganz gesund ist. Oder wir entdecken gemeinsam, dass ein freitäglicher Büroschwips auch verbindend sein kann. Okay, die Metapher entgleitet mir gerade, aber ihr versteht den Kern. Es wird Veränderung geben und wie die aussieht, entwickeln wir zusammen. In diesem Fall sogar ohne Zeitdruck.
Ich freue mich zumindest über das Fundstück „entgendern nach Phettberg“. Gerade weil es etwas zu weit geht, gerade weil es kein ernst gemeinter Vorschlag ist, den Duden umzuschreiben. Sondern weil es eine frische Idee ist, sympathisch und chaotisch.
Jetzt könnt ihr, geehrte Lesys, also hinausgehen und euren Freundys oder eurem Partny davon erzählen, dass das Designy in seinem Blog die verrückte Sprachphilosophie eines österreichischen Künstlys und Journalistys hochlobt.
Zwei Links noch zu diesem Thema: eher wissenschaftlich bei der Bundeszentrale für politische Bildung, und eher schnell gelesen beim Spiegel.